Zur Haftung eines Fahrzeugfahrers bei Rückwärtsfahren gegen einen stehenden Personenkraftwagen, der ihn zuparkt

Amtsgericht Neuss, Urteil vom 08.04.2009 – 78 C 5745/08

Zur Haftung eines Fahrzeugfahrers bei Rückwärtsfahren gegen einen stehenden Personenkraftwagen, der ihn zuparkt

Tenor:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klä-gerin 609,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2008 sowie vorgerichtliche Gebühren in Höhe von 36,40 € zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamt-schuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Mit der Klage begehrt die Klägerin Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles, welcher sich am 18.10.2008 in auf dem Parkplatz der Fa. an der Str. ereignete.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin eines Pkw vom Typ Daimler, amtl. Kennzeichen. Der Beklagte zu 1) ist Halter eines Pkw vom Typ VW Golf mit dem amtl. Kennzeichen, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Am Unfalltag parkte der Beklagte zu 1) unberechtigterweise auf einem von dem Geschäftsführer der Klägerin gemieteten Parkplatz am Unfallort. Der Geschäftsführer der Klägerin parkte daraufhin unmittelbar hinter dem Pkw des Beklagten zu 1). Gegen 21:20 Uhr versuchte der Beklagte zu 1) auszuparken und fuhr hierbei rückwärts gegen den Pkw der Klägerin, der an der rechten Fahrzeugseite beschädigt wurde. Die weiteren Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin behauptet, kurz vor dem Ausparkvorgang habe der Geschäftsführer der Klägerin den Beklagten zu 1) bei den Fahrzeugen stehen gesehen und diesem durch Handzeichen zu verstehen gegeben, dass er den klägerischen Pkw unmittelbar wegsetzen werde. Dies habe der Beklagte gesehen, gleichwohl sei er eingestiegen und losgefahren.

Sie beziffert ihre mit der Klage verfolgte Ersatzforderung gemäß einem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. wie folgt :

1. Reparaturkosten : 1.993,79 €
2. Gutachterkosten: 414,20 €
3. Auslagenpauschale: 25,00 €
Gesamt 2.432,99 €

In Höhe des Gesamtbetrages forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 05.11.2008 unter Fristsetzung zum 26.11.2008 zur Zahlung auf. Die Beklagte zu 2) erbrachte eine Zahlung von 1.823,99 €.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, eine vorherige Kontaktaufnahme zum Beklagten zu 1) durch Handzeichen habe es nicht gegeben. Sie sind zudem der Ansicht, die Klägerin müsse sich die Betriebsgefahr des hinter dem Pkw des Beklagten zu 1) abgestellten Pkw in Höhe einer Mitverschuldensquote von 25 % anrechnen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die tatsächlichen Feststellungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis gemäß §§ 7 I, 17 I, II, 18 StVG, §§ 823, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG .

Der vorliegende Verkehrsunfall stellt sich zunächst für keine der Parteien als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 und S. 3 StVG dar. Keine der Parteien kann für sich in Anspruch nehmen, dass die Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge den gesteigerten Verkehrsanforderungen eines idealtypischen Fahrzeugführers entsprochen und sich in der konkreten Verkehrslage insbesondere auf ein etwaiges Fehlverhalten des jeweils anderen mit der gebotenen Sorgfalt eingestellt hätten. Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG bedeutet zwar nicht absolute Unvermeidbarkeit, verlangt von dem Fahrzeugführer allerdings besonders sorgfältige Reaktion. Unabwendbar ist ein Schadensereignis, das auch durch äußert mögliche und gebotene Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens einwenden möchte, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben und in der bestimmten Verkehrssituation insbesondere auch alle möglichen und naheliegenden Gefahrenmomente sowie fremde Fahrfehler in die von ihm anzustellende Gefahrenprognose einstellen (vgl. BGH NVZ 1992, 229, 230 m. w. N.; König in Hentschel, StVG, 39. Aufl., § 17 StVG Rdn. 22 m. w. N.). Vorliegend hätte der Fahrer des klägerischen Pkw unproblematisch einen anderen Parkplatz suchen können und somit den Unfall vermieden. Der Beklagte zu 1) hätte auf das riskante Ausparkmanöver verzichten können und abwarten können, bis der behindernde klägerische Pkw umgesetzt worden ist.

Die Gewichtung der beiderseitigen Verursacherbeiträge gemäß § 17 StVG rechtfertigt vorliegend gleichwohl eine alleinige Haftung der Beklagten. Sind an dem die Haftung begründenden Unfallereignis mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz des dem jeweiligen Fahrzeughalter entstandenen Schadens sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gem. § 17 Abs. 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind (BGH, NJW 2000, 3069 (3071), Hentschel StVR, 38. Aufl., § 17 Rn 5).

Im vorliegenden Fall folgt die alleinige Haftung der Beklagten aus der Tatsache, dass der Beklagte unstreitig rückwärts gegen den stehenden klägerischen Pkw gefahren ist, obwohl er nach dem eigenen Vortrag vom klägerischen Pkw „zugeparkt“ worden war. Zwar ist nach der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 5.6.1978 – 3 Ws (B) 160/78 OwiG -, DAR 1980, 247; KG, Urt. v. 22.11.1982 – 12 U 1819/82 -, VRS 64, 103; OLG Hamburg, Beschl. v. 12.11.1999 – 2 Ss 147/99 -, DAR 2000, 41) und Literatur (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, RdNr. 51 zu § 9 StVO) die Bestimmung des § 9 Abs. 5 StVO, die einem Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren besonders hohe Sorgfaltspflichten auferlegt, auf Parkplätzen und in Parkhäusern nur in eingeschränktem Maße Anwendung anzuwenden, weil auf Parkplätzen geringere Geschwindigkeiten gefahren werden und auf diesen Verkehrsflächen in besonderem Maße mit rückwärts ausparkenden Fahrzeugen gerechnet werden muss. Dies entbindet den auf einem Parkplatz rückwärtsfahrenden Fahrzeuglenker aber nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls nicht von besonderen Sorgfaltspflichten in Bezug auf das eigene, von ihm gelenkte Fahrzeug; denn das Rückwärtsfahrmanöver stellt einen atypischen Verkehrsvorgang dar, dem wegen der vom Normalbetrieb abweichenden technischen Handhabung des rückwärts sich fortbewegenden Fahrzeuges eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet (vgl. OLG Hamburg, aaO). Diesen Gefahren ist gegebenenfalls durch die Inanspruchnahme eines Einweisers (vgl. Burmann, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl. 2000, RdNr. 70 zu § 9) entgegenzuwirken.

Der Beklagte hat diese Sorgfaltsanforderungen vorliegend in erheblichem Maße missachtet. Obwohl sich ihm augenscheinlich eine äußerst schwierige Parksituation bot, hat er gleichwohl versucht ohne weitere Hilfe auszuparken und hierbei den klägerischen Pkw beschädigt. Diese grobe Missachtung der erforderlichen Sorgfalt rechtfertigt nach Ansicht des Gerichtes auch die alleinige Haftung der Beklagten. Die Betriebsgefahr ihres Pkw muss sich die Klägerin nicht anrechnen lassen. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass der Geschäftsführer der Klägerin sicherlich eine grundsätzliche Ursache durch das „Zuparken“ des Pkw des Beklagten zu 1) gesetzt hat. Der Unfall beruht jedoch im Wesentlichen auf dem Verstoss des Beklagten zu 1), insbesondere dem pflichtwidrigen Entschluss nach Inaugenscheinnahme der Situation einen alleinigen Ausparkversuch zu wagen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

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